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submitted 2 days ago by [email protected] to c/[email protected]

gibt es Bereiche, wo es zu erwarten ist, wo es normalisierter ist, als in anderen?

wie kann ich mich dagegen schützen?

Ich bin Pflegekraft und wo ich bin, unbezahlte Überstunden sind komplett normalisiert: Manche Mitarbeiterinnen machen 'nur' 20 Minuten, aber manche bleiben 3 Stunden nach dem Dienst und arbeiten für den Krankenhaus ehrenamtlich und sie haben kein Problem dafür. Ich bin der einzige, der so zickig ist, mit der Bezahlung.

Was mich auch beeindruckt hat sind die Ärzten: heute habe ich mit 2 gesprochen, die sagten, sie machen in der Regel bis 2 unbezahlte Überstunden pro Tag. Was für ein Leben ist das? Und wozu mach man das? Wie hat man eine Familie mit solchen Erwartungen? Und wie überlebt man dieses Gefühl, täglich ausgebeutet zu werden?

Was sehe ich nicht?

Ich weiß nicht, ob diese Ärzten lügen, es ist einfach, was sie mir sagten.

Um mich zu schützen könnte ich mich ab und zu krank melden und so die unbezahlte Stunden bezahlt haben, was lächerlich ist aber, was soll ich denn machen?

Die Mehrheit der Menschen machen das nicht, nehme ich an, oder? Gibt es Nachteile für mich, wenn ich sowas mache?

Die Zeit, die ich arbeite, will ich bezahlt haben. Meine Überstunden will ich bezahlt haben. Ist diese eine komische Idee für die Deutschen?

staatliches Krankenhaus, übrigens.

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[-] [email protected] 26 points 2 days ago* (last edited 2 days ago)

Zunächst mal: Arbeitszeitgesetz §3 sagt deutlich: 10/h pro Arbeitstag sind das absolute Maximum. Innerhalb von 6 Monaten/24 Wochen dürfen 8h/Tag als Durchschnitt nicht überschritten werden.

Wenn im Arbeitsvertrag steht, dass Überstunden mit dem Gehalt abgegolten werden, muss klar geregelt sein wie viele. "alle" oder "notwendige Überstunden" sind unzulässige Formulierungen.

Was du tun kannst: Wenn ihr einen Betriebsrat oder gar Gewerkschaft habt: unbedingt an den/die wenden. Eventuell einen Betriebsrat gründen, da gibt es auch kostenlose Beratungsstellen die dir dabei helfen. (man ist dabei sogar gesetzlich vor Kündigung geschützt, um sicherzugehen, dass der Arbeitgeber dich nicht aus Rache feuert)

Generell: Der Arbeitnehmer verkauft seine Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt. Arbeit leisten und nicht dafür bezahlt werden ist eine Art Diebstahl, dessen Schadenswert alle anderen Arten von Raub und Diebstahl statistisch im den Schatten stellt, aber gesellschaftlich als Kavaliersdelikt behandelt wird, auch weil man sich in Deutschland oft auf ungesunde Weise mit dem was man arbeitet identifiziert. Und im Krankenhaus lässt sich das auch noch besonders gut vom Arbeitgeber ausnutzen, da ja eh schon Mangel ist und die Patienten evtl zu kurz kommen - da fühlt man sich als Arbeitnehmer schnell schlecht, wenn man auf seine Rechte pocht.

Wenn du deine Rechte als Arbeitnehmer durchsetzen willst gibt es nur 3 Wege:

  • selbser allein versuchen, für dein Recht einzustehen. Bringt dir im worst case ne Kündigung mit irgendeiner fadenscheinigen Begründung
  • Betriebsrat: das ist die offizielle Stelle die die Rechte des AN im Betrieb überwacht. Hat gesetzlichen Schutz (man darf die nicht einfach feuern, man darf dich nicht feuern weil du mit denen redest, mit BR reden ist keine Arbeiszeit, muss dir aber bezahlt werden als hättest du gearbeitet usw. Der BR selbst kann dem AG sehr auf die Finger klopfen, was zB Arbeitszeit angeht, es ist sogar dessen gesetzliche Pflicht. Er darf auch in diverse Sachen Einsicht verlangen usw)
  • Gewerkschaft: wenn bei euch noch keiner in der Gewerkschaft ist, vllt die etwas utopischere Option, aber die haben auch oft Beratungsstellen, an die du dich kostenlos wenden kannst.
[-] [email protected] 11 points 2 days ago
[-] [email protected] 8 points 2 days ago* (last edited 2 days ago)

Leider ja.

Neue DGB-Studie zeigt: Mehr als jede zweite Überstunde in Deutschland bleibt unbezahlt

Falsch ist es trotzdem. Wehr dich. Und deinen Kolleginnen, die drei Stunden für lau länger bleiben, kannst du sagen, dass sie allen anderen Arbeitnehmern in dem Bereich dadurch schaden, weil sie das Verhalten normalisieren und die Chefs das dann selbstverständlich erwarten.

Die Zeit, die ich arbeite, will ich bezahlt haben. Meine Überstunden will ich bezahlt haben. Ist diese eine komische Idee für die Deutschen?

Eigentlich ist es das nicht. Leider gibt es Berufe, in denen die Arbeitnehmer wenig Verhandlungsmacht haben (kein Betriebsrat, keine Gewerkschaft, niedrige Qualifikation, schnell ersetzbar). Ebenso gibt es leider auch eine große Gruppe von Arbeitnehmern, die kostenloses arbeiten völlig normal finden, vorgeben "Spaß" daran zu haben, und sich auch noch dafür auf die Schulter klopfen, wie sehr sie sich selbst für die Firma ausbeuten. Manche lassen sich auch einreden, der Chef sei ihr Freund oder ihre Familie. Wenn die Arbeit deine ganze Identität ist, kannst du leicht in so eine mMn toxische Haltung abgleiten.

Ich kann nur sagen, wenn deine Schicht um ist, pack zusammen und geh. Ich würde keine Spielchen mit Krankmeldung usw. spielen, sondern ganz offen damit umgehen. Meine Überstunden werden auch nicht bezahlt. Meine Konsequenz daraus ist, dass ich keine mache. Aber ich bin auch nicht im Gesundheitsbereich und habe sicher leicht reden.

Etwas anderes ist es übrigens, wenn deine Vorgesetzten ausdrücklich anordnen, dass du länger arbeiten sollst. Das musst du dann soweit ich weiß machen, aber die Stunden müssen dann auch bezahlt oder abgefeiert werden.

Übrigens, weil du es ansprichst: Ärzte sind eine der Berufsgruppen, für die es keinen gesetzlichen Anspruch auf Ausgleich von Überstunden gibt, weil sie "höhere Dienste" verrichten. Ist also kein Wunder, wenn die dir das erzählen, aber dich betrifft das nicht.

[-] [email protected] 9 points 2 days ago

Habt ihr eine Arbeitszeiterfassung? Zb Stechkarte?

Weil bisher hatte ich die Erfahrung, dass bei Vertrauensarbeitszeit der Arbeitnehmer am ende immer verliert. Seien es die Kollegen die weniger Arbeitszeit leisten und durch kommen, oder das man unbezahlt zu viel arbeitet.

Mit Stechkarte wird, zumindest theoretisch, alles erfasst und dein Überzeitkonto dokumentiert das ganze zumindest.

[-] [email protected] 3 points 2 days ago

Es gibt keine Vertrauensarbeitszeit mehr. Die objektive Zeiterfassung ist seit einiger Zeit fuer alle Betriebe verpflichtend:

https://www.bmas.de/DE/Arbeit/Arbeitsrecht/Arbeitnehmerrechte/Arbeitszeitschutz/Fragen-und-Antworten/faq-arbeitszeiterfassung.html

Wenn euer Arbeitgeber ein solches System (noch) nicht eingerichtet hat: nachfragen!

[-] [email protected] 8 points 2 days ago* (last edited 2 days ago)

Es gibt keine Vertrauensarbeitszeit mehr.

Dann bin ich wohl ein Einhorn.

Im Ernst, das stimmt nicht.

Kann weiterhin Vertrauensarbeitszeit vereinbart werden?

Ja. Mit Vertrauensarbeitszeit wird im Allgemeinen ein flexibles Arbeitszeitmodell bezeichnet, bei dem die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer eigenverantwortlich über die Lage (also Beginn und Ende) der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit entscheiden kann. Der Arbeitgeber "vertraut" dabei darauf, dass die Arbeitnehmerin bzw. der Arbeitnehmer ihrer bzw. seiner vertraglichen Arbeitsverpflichtung nachkommt. Eine Dokumentation der Arbeitszeit steht einer solchen Vereinbarung nicht im Wege.

Vertrauensarbeitszeit heißt nicht, dass keiner aufschreibt. Es heißt, dass es egal ist, wann du kommst und gehst. Dir wird vertraut, dass du dein Pensum abarbeitest.

Und ja, man muss aufpassen, sonst verliert man dabei als AN.

[-] [email protected] 4 points 2 days ago

Sorry, dann handelt es sich um ein sprachliches Missverstaendnis. Davon kann es bei mir jederzeit viele geben. Now I know.

Der wichtige Punkt ist: Es besteht trotzdem eine Pflicht zur Dokumentation der Arbeitszeit.

Naechster disclaimer: Auswirkungen dieser Regelung sind bislang nicht mal als Arbeitgeber zu spueren, ich koennte mir also vorstellen, das es ein schwieriger Prozess ist, bis man davon als Arbeitnehmer profitiert. Trotzdem rate ich dazu, unter Umstaenden selbst die Zeit zu dokumentieren, um darauf verweisen zu koennen - je nach Arbeitgeber vermutlich auch, obwohl ein entsprechendes System im Betrieb schon existiert.

[-] [email protected] 6 points 2 days ago

Je nach Branche und Tätigkeit mag das üblich sein - in deinem Fall würde ich sagen eher nicht. Du arbeitest doch sicher zeitlich festgelegte Schichten oder ähnliches, da finde ich diese Praxis schon eher ungewöhnlich.

Letztendlich wird es aber drauf ankommen was in deinem Arbeitsvertrag steht, meines Wissens (Achtung, dieses ist in keiner Weise qualifiziert :D) ist es zulässig dass dort sowas wie "Überstunden sind mit dem Gehalt abgegolten" drin steht, dann kann das tatsächlich so sein dass gar nicht mal so wenige unbezahlte Überstunden zulässig sind (über die tatsächliche Menge wird es vermutlich 83636485 verschiedene Gerichtsfälle nachzulesen geben...).

Steht das nicht da sehe ich es auch wie du und würde mich möglichst dagegen wehren, schlimm genug dass sowas überhaupt in einem Arbeitsvertrag stehen darf.

[-] [email protected] 5 points 2 days ago

Partnerin eines Freundes ist Krankenpflegerin. Da kommen die KollegInnen bei Schichtwechsel gerne Mal zu spät (wir reden hier von bis zu 1h weil eine Katze gestreichelt werden musste und solche Späße) und das wird vom AG akzeptiert.

Ein anderer Freund arbeitet in der Kinderpflege und hat da zwar kein Problem mit unbezahlten Überstunden, aber er muss flexibel sein und öfter Mal einspringen.

In meinen Büro-Jobs ist mir beides schon untergekommen. Bei meinem ersten AG waren Überstunden so normal, dass sie Mitarbeitenden früher oder später eine fixe Menge Überstunden + Ausgleich im Vertrag hatte und man nur durch Kündigung oder Schwangerschaft wieder aus der Geschichte rauskam (aber wenigstens vergütet, yay).

Ich würde das nicht am Berufsfeld, sondern am Arbeitsplatz/Arbeitgeber festmachen. Das ganze ist ein kulturelles Thema und es wird ggf auch versucht durch Gruppenzwang Regelungen im Arbeitsvertrag auszuhebeln.

Für mich würde der Umgang davon abhängen, wie gut ich mit meinem Arbeitgeber reden kann. Manchmal kommt solches Verhalten aus der Belegschaft, dann kann man sich quasi von oben absegnen lassen, dass man da nicht mit macht (was den "fleißigen" KollegInnen missfallen könnte). In anderen Fällen vom AG direkt, was für mich persönlich ein Grund wäre mir was anderes zu suchen.

[-] [email protected] 2 points 2 days ago

"Überstunden sind mit dem Gehalt abgegolten"

Spätestens, wenn in Summe die geleisteten Arbeitsstunden (Regelarbeit + Überstunden) den stündlichen Arbeitslohn auf den Mindestlohn drücken, ist der Rahmen rechtlich ausgereizt.

[-] [email protected] 5 points 2 days ago

Eine solche Klausel im Arbeitsvertrag ist meines Wissens nach unwirksam, insofern dort keine maximale Zahl explizit genannt wird. Der Arbeitnehmer muss bei Vertragsunterzeichnung die Möglichkeit haben, das erwartete Arbeitspensum abzuschätzen und mit dem Gehalt abzuwägen. Pauschal alles mit drin, egal wann und wie viel ist nicht zulässig.

[-] [email protected] 3 points 2 days ago

Exakt. Kenne das genau so auch aus der Beratung. Da steht oft drin: "Überstunden bis zum Umfang von 10 % über die Wochenarbeitszeit hinaus gelten als vom Gehalt abgedeckt."

Für Besserverdiener (> 7300€ / Monat) besteht grundsätzlich auch kein Anspruch auf Ausgleich der Überstunden.

[-] [email protected] 6 points 2 days ago* (last edited 2 days ago)

Ist sehr branchenabhängig. Ich bin mir nicht sicher, wie normal das genau so in Krankenhäusern ist, aber das ist grundsätzlich eine der Branchen, in der in Deutschland Arbeitnehmer besonders schlecht behandelt werden.

Für Ärzte wird die Konsequenz davon, keine Überstunden zu machen, vor allem darin bestehen, dass sie nicht befördert werden, aber ich bin mir nicht sicher wie das bei Pflegern aussieht - soweit ich weiß gibt es für Krankenpfleger ja eh nicht so große Aufstiegsmöglichkeiten.

[-] [email protected] 3 points 2 days ago

In Der Landwirtschaft ist das durchaus auch üblichen, jedoch ist es da oftmals so, dass halt im Sommer haufenweise Überstunden aufgebaut werden und im Winter wenn weniger zu tun ist, werden die halt wieder abgebaut.

[-] [email protected] 3 points 2 days ago

Wenn sich das Augleicht, dann wird halt nur die Lohnzahlung verschoben. Sprich die wären dann auch bezahlt. Schon klar das die Landwirtschaft sehr ausbeutet.

[-] [email protected] 4 points 2 days ago

In meiner Branche (IT) ist dies sehr vom konkreten Unternehmen abhängig. In manchen Firmen ist es ähnlich, wie du beschreibst und 10 Stunden+ pro Tag (bei 8 Stunden laut Vertrag) sind Standard, in anderen lässt man genau um 17:00 Uhr den Stift fallen oder kann Überstunden zumindest aufschreiben und abbauen/auszahlen lassen.

Persönlich sehe ich das genauso wie du. Insbesondere in einer Branche wie der Pflege, die leider nicht unbedingt dafür bekannt ist, sonderlich opulente Gehälter zu zahlen.

this post was submitted on 27 May 2025
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