Arabische Vorwürfe über westliche Doppelmoral sind nicht neu. Doch die Heftigkeit der Kritik ist beispiellos - Diplomaten und Forscher beklagen "geopolitischen Scherbenhaufen".
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"Jeder ist durch, jeder ist angefasst gerade. Diese Fernsehbilder von toten palästinensischen Babys - und zugleich eine Welt, die diese Grausamkeiten nicht sieht, nicht zeigt. Wir sind geschockt. Und wütend", sagt Shahira Amin. Die Journalistin und Forscherin am US-Thinktank Atlantic Council drückt aus, was eine große Mehrheit in der arabischen Welt derzeit fühlt und denkt über westliche Politik: "Unser Leid wird ausgeblendet bei Euch".
Im Interview zweifeln viele gar, ob ihre Wut und Trauer überhaupt in westlichen Medien abgebildet werden dürften. Dutzende bekannte arabische Forscher und Politikberater gehen diese Woche in einem offenen Brief mit der Biden-Regierung und der EU ins Gericht. Nach der "entsetzlichen Metzelei" durch die Hamas habe die Welt zu Recht mit einer Verurteilung reagiert und mit Solidarität mit Israel, schreiben sie.
Doch eine fortgesetzte Entmenschlichung der Palästinenser habe dazu geführt, dass zu viele westliche Regierungen eine "Kampagne der kollektiven Bestrafung von Millionen unschuldigen Palästinensern" unkritisch billigten.
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"Das Völkerrecht ist nicht optional", mahnt auch Kim Ghattas, Forscherin am Carnegie Middle East Centre in Beirut. "Es gilt nicht nur für die Feinde des Westens, wenn russische Massaker auf ukrainischem Boden geschehen. Sicher, der Kontext ist verschieden. Aber der Westen muss das internationale Recht in allen Fällen hochhalten. Denn Straflosigkeit zersetzt die liberale Weltordnung".
Andererseits bleibt Ghattas realistisch, was die Wünsche der arabischen Öffentlichkeit angeht. Sie kennt das Denken im US-Außenministerium gut genug, um nachvollziehen zu können, dass die USA nie öffentlich auf eine Feuerpause drängen können. Sie würden sonst ihre Fähigkeit verlieren, im Stillen auf Israel ein- und gegenzuwirken, erklärt Ghattas.
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"Sollen wir in dieser Lage nun ausgerechnet auf Russland, auf China, auf Iran vertrauen, wenn es um den Schutz von Zivilisten geht?", fragt, nicht ohne Sarkasmus, der ägyptische Menschenrechtler Hossam Bahgat. Gerade von Deutschland fühlt er sich entfremdet und fragt sich, warum die deutsche Außenministerin in der EU eine sofortige humanitäre Feuerpause verhindert habe. Ihr Verhalten könne einen massiven Flurschaden in der Region bewirken, fürchtet er.
Der palästinensische Historiker Yezid Sayigh, der mehr als zehn Jahre in der palästinensischen Delegation mit Israel über den Friedensprozess verhandelte, schlägt in die gleiche Kerbe.
"Im Moment sehe ich, wie die USA, die EU und einzelne europäische Regierungen mit ihrer Haltung die internationale, regelbasierte Ordnung zerschlagen. " - Yezid Sayigh
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Zivilisten im Nahen und Mittleren Osten seien daher nicht nur Opfer ihrer eigenen Regime und Terrorgruppen, sondern auch Opfer des westlichen Hinwegsehens. Es wird genau registriert, wie ein Sprecher des Weißen Hauses mit fast tränenerstickter Stimme über israelische Opfer spricht - und wie er palästinensische Opfer lediglich als "Teil des Krieges" wahrnimmt.
Zwei unterschiedliche Wahrnehmungen. Zwei unterschiedliche Realitäten. Die Kluft zwischen Westen und arabische Welt hat sich gefährlich weit geöffnet. Die Kehrseite des Vorwurfs über "mangelnde Empathie": So sehr die arabische Öffentlichkeit beklagt, dass palästinensisches Leid nicht gesehen wird - in ihren eigenen Fernsehkanälen und Medien hat sie das Leid der israelischen Opfer der Hamas vollständig ausgeblendet. Liveblo